Im Labor des Bayerischen Denkmalamtes in Bamberg haben Wissenschaftler damit begonnen, einen Eisblock aufzutauen, der Überreste einer Elitebestattung aus dem 6. Jahrhundert enthält. Der Block wurde eigens von Archäologen mit flüssigem Stickstoff erstellt, um die Bestattung vollständig studieren zu können.
Das Grab wurde im Oktober vergangenen Jahres bei Ausgrabungen auf dem künftigen Baugrundstück in Tussenhausen gefunden. Archäologen haben die Überreste eines Gebäudes aus der Römerzeit entdeckt, das im frühen Mittelalter als Grabstätte für einen Jungen wiederverwendet wurde. Er wurde in einem Kammergrab mit Ziegelboden und dicken Steinwänden und -decken beigesetzt. An seinen Skelettresten wurde reichhaltiges Zubehör gefunden. Zu Füßen des Jungen lag das Skelett eines Hundes. Das Vorhandensein von Milchzähnen weist darauf hin, dass das Kind bei seinem Tod nicht älter als 10 Jahre war, aber trotz seines zarten Alters gut bewaffnet war. Ein Schwert und ein mit Goldnieten verzierter Waffengürtel weisen darauf hin, dass der Junge zur lokalen Elite gehörte. Im Grab wurden auch silberne Armbänder, Sporen, Kreuze aus Blattgold und ein Bronzegefäß gefunden.
Die Steinmauern und die Decke des Grabes waren so eng miteinander verbunden, dass 1300 Jahre lang keine Erdablagerungen in das Innere eindrangen. Dank dessen blieb die Bestattung in ausgezeichnetem Zustand, die Überreste organischer Materialien, einschließlich Leder und Stoff, waren darin sichtbar. Dieses Glück wurde den Restauratoren jedoch zum Problem, da die Überreste nicht in relativ stabiler Erde eingeschlossen waren, die für Laborgrabungen in einen Erdblock geschnitten werden konnte, um auch kleinste Spuren archäologischen Materials konservieren zu können, wie es moderne Archäologen üblich sind tun. Ohne Bodenfüller hätten die kostbaren, zerbrechlichen Überreste beim Transport beschädigt werden können.
Um Materialien mit minimalem Verschleiß zu erhalten, haben Archäologen eine neue Technik entwickelt. Die Steinwände des Grabes wurden entfernt und durch Holzplatten ersetzt. Eine weitere Platte wurde unter dem Grab über dem Ziegelboden angebracht. Die Oberfläche der Überreste wurde mit Wasser geflutet und das Wasser Schicht für Schicht mit flüssigem Stickstoff gefroren. Die Flüssigstickstofftemperatur sorgt dafür, dass sich das Wasser sofort verfestigt und zu Eis wird, ohne sich auszudehnen, wie es beim Gefrieren bei einer höheren Temperatur der Fall ist. Dann wurde mit schwerem Gerät die Erde rund um die Bestattung aufgebrochen und ein etwa 800 Kilogramm schwerer Eisblock mit einem Kran angehoben. Der ganze Vorgang dauerte 14 Stunden.
Das gefrorene Begräbnis wurde ins Labor transportiert, und jetzt haben die Wissenschaftler mit dem kontrollierten Auftauen begonnen. „Der Block mit dem Skelett des Kindes wurde mehrere Monate im Gefrierschrank aufbewahrt. Nun ist der Spitzname unseres kleinen „Eisprinzen“ bald obsolet. Sein schützender Eispanzer wird durch gezieltes Erhitzen schonend und konsequent zerstört. Unser Restauratorenteam hat diesen Prozess sorgfältig vorbereitet“, erklärt Generalkonservator Prof. Dr. Mathias Pfeil, Leiter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege.
Das Abtauen erfolgt in einem speziellen Raum mit kontrollierter Luftfeuchtigkeit. Damit das austretende Kondensat die Fundstücke nicht beschädigt, wird es mit einer speziellen Absaugung abgeführt. In Bearbeitungspausen sorgt die Kühlhaube für eine konstante Temperatur von -4°C. Das Tauwetter wird voraussichtlich mehrere Tage dauern. Anschließend werden Experten, insbesondere Anthropologen und Archäobotaniker, die ersten Proben des Materials analysieren. „Zahlreiche Stoff- und Lederreste sind erhalten geblieben, beispielsweise von Scheiden, Schwertgürteln und Kleidern. Sie versprechen einen hochinteressanten Einstieg in die Grabdekoration und frühmittelalterliche Textiltechnik“, sagt Britt Nowak-Böck, Leiterin der Werkstätten Archäologische Restaurierung im Landesamt für Denkmalpflege.
Foto: Kontrolliertes Abtauen des Eisblocks des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege