BRÜSSEL — Kaum ein Investitionsstreit hat weltweit so viel Aufmerksamkeit erregt wie der Fall der Micula-Brüder, zweier in Schweden ansässiger rumänischer Investoren, die einen jahrzehntelangen Rechtsstreit gegen Rumänien führten. Was als Versuch begann, ihre Rechte im Rahmen eines bilateralen Vertrags durchzusetzen, hat sich zu einer juristischen Odyssee entwickelt und wirft tiefgreifende Fragen über den Umgang der Europäischen Union mit internationalen Schiedsverfahren und ihren Respekt für den Anlegerschutz auf.
Der Streit, offiziell bekannt als Micula und andere gegen Rumänien, geht zurück auf das Jahr 1998, als Ioan und Viorel Micula im Rahmen des bilateralen Investitionsabkommens zwischen Schweden und Rumänien (BIT) in Rumänien investierten. Das Abkommen sollte die wirtschaftliche Entwicklung in ländlichen Gebieten fördern und ausländischen Investoren Anreize bieten. Doch als Rumänien sich 2004 auf den Beitritt zur Europäischen Union vorbereitete, wurden diese Anreize abrupt abgeschafft, um den EU Beihilfevorschriften. Diese Entscheidung stellte nicht nur einen Verstoß gegen das BIT dar, sondern bescherte Miculas auch erhebliche finanzielle Verluste.
Was folgte, war ein zwanzig Jahre dauernder Kampf um die Rückerstattung, bei dem die Prinzipien des Völkerrechts gegen die zunehmend selbstbewusste Haltung der Europäischen Union hinsichtlich ihrer Zuständigkeit bei Investor-Staat-Streitigkeiten ins Feld geführt wurden.
Ein Kampf zwischen internationalem und europäischem Recht
2013 entschied ein Schiedsgericht im Rahmen der ICSID-Konvention der Weltbank zugunsten der Miculas und sprach ihnen beträchtlichen Schadenersatz für Rumäniens Vertragsverletzungen zu. Die Europäische Kommission intervenierte jedoch und erklärte die Entschädigungen nach den EU-Beihilfevorschriften für unzulässig.
Trotz der Einwände der Kommission stellten sich die Gerichte im Vereinigten Königreich auf die Seite der Miculas und bestätigten 2020 ihren Anspruch auf die Entschädigung. Dieses Urteil löste weitere Spannungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich aus, und die Kommission verklagte Großbritannien 2024 wegen angeblicher Verletzung der Brexit Austrittsabkommen, indem die Entschädigungszahlungen fortgesetzt werden. Wie Großbritannien reagieren wird, bleibt eine offene Frage, insbesondere angesichts seines angespannten politischen Verhältnisses zum Europäischen Gerichtshof.
Eine umstrittene Wendung: Das Urteil des Gerichts von 2024
Am 2. Oktober 2024 erhöhte das EU-Gericht den Einsatz, indem es die Micula-Brüder zur Rückzahlung der ihnen zugesprochenen 400 Millionen Euro verurteilte. In einem bemerkenswerten und umstrittenen Schritt erklärte das Gericht die Brüder zudem für persönlich haftbar, die Gelder zurückzufordern.
Diese Entscheidung ist juristisches Neuland. Indem die Europäische Kommission die EU-Beihilfevorschriften rückwirkend auf einen internationalen Schiedsspruch anwendete, versuchte sie, die Feststellungen des ICSID-Tribunals neu zu interpretieren. Dabei erweiterte sie den Begriff der „staatlichen Beihilfe“, um nicht nur die Miculas, sondern auch fünf verbundene Unternehmen – von denen keines die umstrittene Entschädigung erhielt – zur Rückzahlung haftbar zu machen.
Am alarmierendsten ist vielleicht, dass das Urteil Rumänien die Möglichkeit eröffnet, das Privatvermögen der Micula-Brüder, darunter Immobilien und Renten, zu beschlagnahmen. Kritiker haben dies als beispiellosen Verstoß gegen Rechtsnormen bezeichnet, der faktisch „den Firmenmantel durchbricht“, der Einzelpersonen vor der Haftung ihrer Unternehmen schützt.
Beschränkte Haftung in Gefahr
Die Folgen des Urteils gehen weit über die Miculas hinaus. Nach rumänischem Recht, wie es in Gesetz Nr. 31/1990 definiert ist, genießen Unternehmen und ihre Aktionäre einen klaren Schutz durch das Prinzip der beschränkten Haftung. Dieser in allen EU-Mitgliedsstaaten einheitliche Rechtsrahmen stellt sicher, dass Aktionäre nur unter außergewöhnlichen und eng definierten Umständen persönlich für Unternehmensschulden haften.
Die Europäische Kommission Entscheidungumgeht diesen Schutz jedoch. Indem das Urteil den Miculas rückwirkend eine persönliche Haftung zuschreibt, untergräbt es etablierte Grundsätze des Gesellschaftsrechts und wirft Fragen zur Kohärenz der EU-Rechtsnormen auf.
„Diese Entscheidung schafft einen gefährlichen Präzedenzfall“, sagte ein mit dem Fall vertrauter Rechtsexperte. „Wenn die Europäische Kommission Einzelpersonen auf diese Weise persönlich haftbar machen kann, hat dies einen abschreckenden Effekt auf ausländische Investitionen in der gesamten EU.“
Eine beunruhigende Botschaft an die Anleger
Im Kern verdeutlicht der Fall Micula die Spannung zwischen der internen Rechtsordnung der EU und dem breiteren Rahmen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Indem die EU die klare Rechtsgrundlage des ICSID-Tribunals für die Schadensersatzvergabe missachtet, so argumentieren Kritiker, bestraft sie Investoren dafür, dass sie von ihrem Recht Gebrauch machen, rechtliche Schritte einzuleiten.
Die Folgen sind tiefgreifend. Seit Jahrzehnten vermitteln internationale Schiedsgerichtsbarkeiten Investoren ein Gefühl der Sicherheit, indem sie ein unparteiisches Forum zur Beilegung von Streitigkeiten mit Staaten bieten. Doch der Umgang der EU mit dem Micula-Fall hat Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Schutzmechanismen innerhalb ihrer Grenzen aufkommen lassen.
„Diese Entscheidung untergräbt das Vertrauen in die EU als sicheres Ziel für ausländische Investitionen“, sagte ein Analyst einer führenden globalen Anwaltskanzlei. „Sie signalisiert Investoren, dass ihre Rechte im Rahmen politischer Ziele nachträglich außer Kraft gesetzt werden können.“
Warten auf das nächste Kapitel
Die Micula-Brüder geben nicht nach. Sie werden gegen das Urteil Berufung einlegen, aber ein Urteil könnte mindestens ein Jahr dauern. Dieser Fall wird wahrscheinlich ein Prüfstein für Debatten über die Schnittstelle zwischen EU-Recht und internationale Schiedsgerichtsbarkeit noch einige Zeit anhalten, und seine Folgen werden weit über die Miculas hinaus nachhallen und die Zukunft des Anlegerschutzes in Europa und darüber hinaus prägen.