In einer Zeit, in der klassische Pianisten oft von der Perfektion ihrer Konservatorien und sicheren Repertoireauswahl geprägt werden, tanzt Cyprien Katsaris schon lange nach einem anderen Rhythmus – und das nicht nur metaphorisch. Der französisch-zypriotische Virtuose hat jahrzehntelang einen einzigartigen Weg durch die Musiklandschaft beschritten und dabei Brillanz, Respektlosigkeit und historische Neugier auf eine Weise vereint, die sich nur wenige getraut haben. Pianist, Komponist, Improvisator, Provokateur – Katsaris ist all das und noch mehr.
Katsaris wurde 1951 in Marseille als Sohn griechisch-zypriotischer Eltern geboren und war von Anfang an ein außergewöhnliches Talent. Mit sieben Jahren gab er seinen ersten öffentlichen Auftritt mit einem Konzert von Haydn. Ausgebildet am Pariser Konservatorium bei Aline van Barentzen und Monique de la Bruchollerie und beeinflusst von den großen Traditionen Cortots und Cziffras, gewann er schnell erste Preise in Klavier und Kammermusik. Doch schon früh war klar: Er ließ sich nicht von der Akademie formen.
„Ich glaube nicht daran, die Vergangenheit einfach zu reproduzieren“,
Cyprien Katsaris
„Der Dolmetscher muss leben mit der Musik, erfinde sie für heute neu.“
Dieser Glaube führte ihn zu einigen der gewagtesten und eigenwilligsten Projekte in der Welt des Klaviers.
Die Orchester an seinen Fingerspitzen
Vielleicht definiert kein Werk Katsaris' Ehrgeiz und Kühnheit besser als seine Aufnahmen der gesamten Liszt-Transkriptionen von Beethovens Symphonien. Dies sind nicht nur Übungen technischer Meisterleistung; es sind Meisterleistungen orchestraler Fantasie. Wo die meisten Pianisten vor solch monumentalen Herausforderungen zurückschrecken, blüht Katsaris auf. Seine Interpretation des „Eroica“ or „Pastoral“ Symphonien zaubern ganze Blechbläsersektionen, Holzbläser und schwungvolle Streicher aus einer einzigen Tastatur. Er behandelt das Klavier wie ein Prisma – es bricht die symphonische Partitur durch Klang und Seele.
Doch sein Erfolg in diesem anspruchsvollen Zyklus ist nicht nur ein technisches Meisterwerk – er ist tiefgreifend interpretatorisch. Katsaris spielt nicht einfach Noten; er erzählt Geschichten, balanciert Texturen, hebt innere Stimmen hervor und haucht jedem Crescendo Leben ein. Es ist Liszts Vision, gefiltert durch Katsaris' eigene musikalische DNA – romantisch, leidenschaftlich und kompromisslos.
Eine Vorliebe für das Theatralische
Ein Katsaris-Konzert ist nie eine sterile Angelegenheit. Es kann Humor, Improvisation, Kommentare geben, sogar eine plötzliche Wendung in Queen's Bohemian Rhapsody – neu interpretiert im hochromantischen Stil. Sein Gespür für das Unerwartete ist nicht nur Show; es ist das Ergebnis einer furchtlosen Interpretationshaltung und der Überzeugung, dass die Konzertbühne ein lebendiger Raum und kein Museum ist.
Ob er Liszts Ungarische Rhapsodien oder Mozarts Variationen interpretiert, Katsaris verleiht seiner Phrasierung Theatralik – ein verschmitztes Augenzwinkern hier, ein Flüstern dort, ein Donnerschlag, wo man ihn am wenigsten erwartet. In einer Welt, in der Perfektion oft über Persönlichkeit gestellt wird, wirken seine Darbietungen erfrischend menschlich.
„Wenn ich mich im Konzert nicht selbst überraschen kann“,
„Wie kann ich erwarten, das Publikum zu überraschen?“
Cyprien Katsaris Ein Archivar des Unerwarteten
Im Laufe der Jahre hat sich Katsaris zu einem ungewöhnlichen musikalischen Archäologen entwickelt. Sein unabhängiges Label, 21-Planhat Dutzende seltener Aufnahmen veröffentlicht – von vergessenen Meisterwerken des 19. Jahrhunderts bis hin zu Neuinterpretationen von Werken Wagners, Mahlers und sogar Filmmusik. Er hat Frühfassungen bekannter Werke ans Licht gebracht und Klaviermusik von Komponisten aufgenommen, die eher anderen Genres zugeordnet werden.
Dieser kuratorische Instinkt zeichnet ihn aus. Katsaris ist nicht nur Pianist, sondern auch ein leidenschaftlicher Verfechter eines breiteren, tieferen Repertoires. Er lädt seine Zuhörer ein, die Ränder zu erkunden – die Orte, an denen die Geschichte vergessen hat, hinzuschauen.
Ein Bürger vieler Welten
Katsaris spricht mehrere Sprachen fließend und ist in Europa, Asien und Amerika zu Hause. Seit Jahrzehnten tourt er um die Welt. Er trat mit führenden Orchestern auf, arbeitete mit Dirigenten von Leonard Bernstein bis Kurt Masur zusammen und spielte in legendären Konzertsälen von der Carnegie Hall bis zur Verbotenen Stadt. Trotz seines internationalen Ruhms bleibt er jedoch so etwas wie ein Geheimtipp – ein Pianist, der von Kennern, Musikerkollegen und risikofreudigen Zuhörern geliebt wird.
Das unklassifizierbare Genie
Cyprien Katsaris zu kategorisieren, ist wie Quecksilber zu fassen. Er ist Traditionalist und Bilderstürmer zugleich, Gelehrter und Schausteller. Mal liefert er eine historisch fundierte Bach-Interpretation, mal improvisiert er eine Fuge über ein vom Publikum gerufenes Thema. Seine Hände mögen fest auf der Tastatur verwurzelt sein, doch sein Geist ist im Flug – improvisiert, stellt sich vor und hinterfragt.
Während die klassische Welt manchmal Spontaneität fürchtet, lebt Katsaris davon. Er fordert die Orthodoxie nicht aus Rebellion heraus, sondern aus Liebe zur Musik als lebendiger Kraft. Er ist im tiefsten Sinne ein Künstler, der spielt im wahrsten Sinne des Wortes.
Nachspiel
Cyprien Katsaris zu entdecken bedeutet, das Klavier selbst neu zu entdecken – nicht nur als raffiniertes Instrument, sondern als Stimme, als Spielplatz, als Schlachtfeld, als Universum. Seine Aufnahmen öffnen Türen zum Vergessenen, Verbotenen, Fantastischen. Seine Konzerte versprechen Unvorhersehbarkeit, Schönheit und das aufregende Gefühl, dass alles passieren kann.
Für diejenigen, die die Routine der klassischen Musik satt haben, bietet Katsaris etwas mehr: die Möglichkeit der Magie.